Podium 115 - Land der Hämmer

Wo sich die Juden den Vergaser richten lassen

Christian Loidl

1. Nachbarn

In der Czerningasse im zweiten Bezirk ist eine Vergaserfirma. Ihre Werbeschilder VERGASER MAGISTRIS hängen rund um den Nestroyplatz immer in ominöser Nähe zu jüdischen Einrichtungen und Zeichen. Zum Beispiel links und rechts am kleinen Vorplatz vor dem Nestroyhof. Das linke, auf der Czerningassen-Seite, mit der Aufschrift: MAGISTRIS VERGASER TECHNIK KFZ-Spezialwerkstätte. Rechts, wo man in die Tempelgasse hineinsieht und wo manchmal Skandieren von Bubenstimmen in Hebräisch hörbar wird, ist der Text einfacher: VERGASER MAGISTRIS. Ein Zufall, denkt sich jemand vielleicht. Da denkt sich niemand etwas dabei. In der Leopoldstadt kennen viele die Vergaser-Schilder. Die sind ein Running Gag. Weil sich halt doch immer wieder irgendwer irgendwas denkt.

Hinter dem Nestroyhof dann, da wo die Tempelgasse von der Unteren Donaustraße abzweigt, ist wieder eins, überm Tempelgassen-Straßenschild: VERGASER MAGISTRIS. Direkt überm Strassennamen ist ein leeres helleres Rechteck. Da war das Vergaser-Schild früher. Jetzt hängt es eineinhalb Meter schräg rechts über der Straßentafel. Eineinhalb Meter als Grenze für einen Gedanken.

Tempelgasse 5 a ist der DESIDER FRIEDMANN-HOF. Am rechten Rand ein Mosaik, das den jüdischen Tempel darstellt. Es ist gute drei Meter hoch, hauptsächlich purpurn und rot. Einen knappen Meter darunter: ein Straßenschild Tempelgasse. Dazwischen: wieder das helle Rechteck, wo die Vergaser-Tafel einmal war. Überm Hauseingang: das rot-weiß-rote Schild mit der schwarzen Schrift POLIZEI. Tempel, Polizei, Vergaser, bis vor kurzem: Nachbarn. Vom Nebenhaus herüber wirft der abgestellte Straßenpolizist lange Blicke. Es kann passieren, daß einem auf einem Spaziergang mit Notizbuch oder Kamera um den Häuserblock herum erst ein Polizist nachgeht, vorausgeht, einem dann drei oder vier Polizisten immer wieder begegnen. Im Polizeirevier Tempelgasse waren bis vor kurzem Aufenthaltsgenehmigungen käuflich erhältlich. Zwei kleine Buben mit schwarzen Käppis verschwinden um die Ecke: einer auf dem Kinderrad, der andere auf Rollschuhen. An der Ecke zur Ferdinandstraße ist eine koschere Greißlerei: Koscher Lebensmittel Import-Export Israel-Paris-Wien / Neli Malkov. Ein paar Schritte weiter auf der Ferdinandstraße ist dann schon der Wiener Turngau: altdeutsche Wappenschrift, gleich mehrmals: an der Holzscheiben-Klinke, auf der Tafel bei der Klingel, am bayrischblau gestrichenen Metallgitter neben der Tür.

2. Zufall

Ein paar Meter weiter, vor einer Firma für Wärmetechnik, steht ein brauner Lieferwagen, die eine Seite ganz beklebt mit Horrorfotos: ein totenblasser Mann, mit erschrockenen Augen, aufgerichtet im Spitalsbett; über die Brust zieht sich ein Netzwerk aus blutig vernarbten Nähten. Ein einzelnes weißes Bein mit einem Schnitt vom Schenkel bis zum Knöchel. Präsident Chirac und eine Meldung über Atomwaffentests im Meer, ausgeschnitten aus Täglich Alles. Ein Mutanten-Kind mit krankhaft geweitetem Kopf, dazu ein ATOM-Aufkleber. Der Kabarettist Hans Peter Heinzl, eingefallen vom Krebs, im Spitalsbett. Auf die Stirn ist mit Filzstift ein schwarzes Kruzifix gezeichnet. Handgeschriebenes Spruchband über die Wagenbreite: LIEBEN SIE IHRE FRAU UND IHRE KINDER? ICH GLAUBE NICHT. SONST WÜRDEN SIE ETWAS TUN.

Und weiter unten, eher klein: TÖTEN UND MORDEN HABEN WIR GELERNT, FRIEDEN MACHEN IMMER NOCH NICHT. Auf dem Wagendach aufmontiert sind vier Gartenzwerge. Ein älterer Mann in Latzhose geht ein paarmal hin und her, mit einem Handwagen, aus der Firma heraus und zum Wagen, und verlädt etwas in den Fond. Beim dritten Mal bleibt er stehen. Wollen S mei Visitenkarten? I bin der Herr Zufall. Die Karte ist handbemalt: ein Baum mit grünen Nadeln, am untersten Ast ein blutrotes Herz mit den Initialen JC. Blut tropft davon hinunter und bildet eine Pfütze. JOHANN COUFAL, KRAFTFAHRER. Wohnhaft Wien XXII, Am Schierlinggrund. Wissen S, wie des is: acht Jahr mit aner fremden Niern? Und fümfmoe Bypass? Die Bilder am Wagen sind zunächst einmal er selber: Die Ader hams ma ausn Fuaß außegschnitten und ins Herz einegflickt, damit s wieder pumpt. Wissen S, wo die Krankheiten herkuman? I kann Ihnen des sagen. I war mein Leben lang Fernfahrer, davon dreiazwanzg Jahr Tankwagenfahrer. Was glauben S, was mit dem Altbenzin passiert, mit der Nachgeburt? Sondermüll sagen s und Recycling – goa nix! Drei Tankwagen voll werden afoch abpumpt irgendwo in ana Gstettn in Oberösterreich. Und Quecksüwa – was glauben S, was i gsehng hab, im Burgenland, was da einegsickert is ins Grundwasser. Und do soest ned nierenkrank werden? Seine persönliche Krankengeschichte ist das Zentrum der Weltvergiftung. Dabei bin i a schwerreicher Mann. Wie ma zu Göd kummt, des waaß i. I find iwaroe Göd. I kennt drei Museen aufmachen mit de Sachen, die i gsammelt hab, zum Beispü aus der Landwirtschaft: vom klansten Heinl bis zum Mähdrescher hob i oles. I hob 130 Bassenas zammtragen, davon san zwanzig bemoed. Was glauben S, was des wert is. I kennt ausstöön noch und noch – aber die geben ma ka Haus. – Warum stöön S as ned in der Firma aus? – Da drin hol i ma nur de Durchlauferhitzer – zum Ausbaanln – des Oedmetoi – was glauben S, was des wert is. I hob amoe – er lacht mit operierter Oberlippe – siebzigtausend Schilling zammgschnorrt, in kürzester Zeit. Für arme Kinder. Da is a blindes Kind in der Steiermark, des braucht a Brüün. Die Krankenkassa zoed nix. Die sagen, wir miassn woatn, bis des Kind auf olle zwaa Augen gaunz blind is. Vurher kena ma nix zoen. Und dann san s ma zuwegstiegen – mit de Kiwara – und dann – ein Politiker, Gesundheitsminister oder dergleichen – und i hob gsogt zu eahm: Und aa bei Ihna wird de große Fleisch-Scher kuma und wird eineschneiden vom Bauch bis zur Gurgel. Daun wean S anders spukken. Seinem Gesicht ist anzusehen: Er weiß, wovon er spricht. San ja nix oes Verbrecher, die uns regieren. Und in de Firmen. I hob einegrochen. I waaß, was da vorgeht. Zu mir hams gsagt: Wannst redst, bist hin. I sag: Wer mir zuwesteigt, is a Leich. Die Wöd macht kaner mehr grad. I hab immer gsund glebt, i hab nie trunken. Und dann, im zwaravierzigsten Lebensjahr auf amoe san ma de Nieren eingschrumpft bis auf Walnußgröße. Was glauben S, wie des is, wann S aufwachen und Ihnen rinnt der Urin ausn Mund? Is ja ka Wunder. Is ja iwaroe nur mehr des Leichengift.

Und die Vergaser-Schilder? Wos soe sein damit? Was i ned. Er schupft die Achseln. Is hoed da Vergasermocha do, in der andern Gassn. Der zoed jo fia des. Was glauben S, was des kost jeden Monat. De Schüdln hätt i aa gern, in der Mariahilferstraßen. Da in der Gegend wohnen aber lauter Juden. Regen si die net auf? Scheinbar net. Er lacht. Wissen S was, rufen S mi amoe aun und kuman S mi besuchen. Dann kriagen S weiße Handschuach und dann derfn S amoe a Bassena angreifen. (An der Schwelle zur Wärmetechnik.) Wiederschaun.

Herr Coufal: die lebende Chiffre für den Tag und die Gegend.

3. Vergaser

An der Mauer das orange Schild mit den weißen Buchstaben bildet ein T: waagrecht MAGISTRIS, senkrecht VERGASER, mehrere Meter hoch. Am Haus gegenüber hängt die Steintafel Der Neurologe und Psychiater Viktor E. Frankl lebte und arbeitete in diesem Haus 1905 – 1942 vom Tag seiner Geburt bis zum Tag seiner Deportation ins Konzentrationslager. MAGISTRIS WERKSTÄTTENZUFAHRT. Abgestellte Fahrzeuge im Bereiche der von der MA 46 genehmigten Bodenmarkierung werden sofort kostenpflichtig abgeschleppt. Blumenfenster mit Vorhang. VERGASERTECHNIK IM HOF. Nach den vielen Ankündigungen sieht die Werkstatt unscheinbar aus: eine kleine Betongarage. Darin steht ein Auto, irgendwo läuft eine Maschine. Die Blechtür zum Nebenraum ist angelehnt. Ein Mann in blauer Arbeitskleidung, Mitte fünfzig vielleicht und drahtig, erhebt sich vom Arbeitstisch und kommt heraus. Sind Sie der Chef? Ja. Warum? Ich schreib einen Artikel über den zweiten Bezirk. Ich hab von der Vergaserfirma gehört, die ihre Schilder auf die jüdischen Häuser draufhängt. Was denken Sie sich dabei? Keinen Moment verliert er die Fassung, die freundliche Indifferenz. Nix. Wenn i a Radio-Gschäft hätt, tät i Radio draufschreiben. Aber i mach halt Vergaser. Des is olles. Vergaser und Zündungen. Aber eigenartig ist es doch, mit dem Frankl-Schild vis-à-vis. Ja. Unsere Firma is aber da seit 1952. Und des Schüdl da drüben so seit vier, fünf Jahr. Das Bild im Kopf springt um: nicht der Vergaser hat sich zur Gedenktafel gehängt, sondern umgekehrt. Oberflächlich betrachtet. Und is ja ned nur der Frankl. Glei links hamma en Alfred Adler. Des waß i eh. Mir ham ja an Wickl ghabt, so vor vier, fünf Jahr. Ein Jude aus Amerika kommt auf Urlaub, sieht die Schilder und hat an Wirbel gmochd. Is sogoa in da Zeitung gstandn domoes. Die Krone hat gschrieben: Die Juden regen sich auf. Wegen was eigentlich? Is jo aa richtig. Uns hat des an Haufen Geld kost domoes. Des Schüdl vom Tempel hamma owageben miassn, auf aans hama hoed draufgschrieben Vergasertechnik statt nur Vergaser. Ein jüngerer Mann kommt herein, mit einem Glas in der Hand, und fragt, ob er Benzin haben kann. Drah di amoe um, sagt der Chef. Der Mann erblickt im Regal, was er sucht, füllt sich sein Glas an, dankt und verschwindet. Und i bin jo söwa ned Magistris. Da Oede is vor fünf Jahr gstorben. I hab nur des Gschäft weitergführt. Naa, des regt heite niemanden mehr auf. Die eigentlichen Kriegswirren waren ja im siebzehnten Jahrhundert. Wann S Ihna heit über was ärgern wollen – da gibt's tausend ärgere Sachen. N-naa. De heitigen Juden sagen da gar nix. Da muaß ana scho sehr oed sein oder aus Amerika kuma, daß eahm des aufregt. De Juden von heite, de kuman söwa zu mir und lassen se en Vergaser repariern. Und er lacht.

Doron Rabinovici meint: Was immer sich wer dabei denkt oder nicht denkt – Werbung dieser Art sei außerhalb Wiens unvorstellbar. Hierorts löst sich üble Geschichte in atmosphärische Skurrilität auf. Was ja nicht heißt, daß sie daraus nicht bei Gelegenheit wieder hervorbrechen kann. Bis zur Vergasung denkt sich niemand etwas. Und Lizenz zum Gasen steht schließlich auch auf Wiener Taxis hin und wieder drauf.

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