Podium 115 - Land der Hämmer |
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1. Nachbarn Hinter dem Nestroyhof dann, da wo die Tempelgasse von der Unteren Donaustraße abzweigt, ist wieder eins, überm Tempelgassen-Straßenschild: VERGASER MAGISTRIS. Direkt überm Strassennamen ist ein leeres helleres Rechteck. Da war das Vergaser-Schild früher. Jetzt hängt es eineinhalb Meter schräg rechts über der Straßentafel. Eineinhalb Meter als Grenze für einen Gedanken. Tempelgasse 5 a ist der DESIDER FRIEDMANN-HOF. Am rechten Rand ein Mosaik, das den jüdischen Tempel darstellt. Es ist gute drei Meter hoch, hauptsächlich purpurn und rot. Einen knappen Meter darunter: ein Straßenschild Tempelgasse. Dazwischen: wieder das helle Rechteck, wo die Vergaser-Tafel einmal war. Überm Hauseingang: das rot-weiß-rote Schild mit der schwarzen Schrift POLIZEI. Tempel, Polizei, Vergaser, bis vor kurzem: Nachbarn. Vom Nebenhaus herüber wirft der abgestellte Straßenpolizist lange Blicke. Es kann passieren, daß einem auf einem Spaziergang mit Notizbuch oder Kamera um den Häuserblock herum erst ein Polizist nachgeht, vorausgeht, einem dann drei oder vier Polizisten immer wieder begegnen. Im Polizeirevier Tempelgasse waren bis vor kurzem Aufenthaltsgenehmigungen käuflich erhältlich. Zwei kleine Buben mit schwarzen Käppis verschwinden um die Ecke: einer auf dem Kinderrad, der andere auf Rollschuhen. An der Ecke zur Ferdinandstraße ist eine koschere Greißlerei: Koscher Lebensmittel Import-Export Israel-Paris-Wien / Neli Malkov. Ein paar Schritte weiter auf der Ferdinandstraße ist dann schon der Wiener Turngau: altdeutsche Wappenschrift, gleich mehrmals: an der Holzscheiben-Klinke, auf der Tafel bei der Klingel, am bayrischblau gestrichenen Metallgitter neben der Tür. 2. Zufall Und weiter unten, eher klein: TÖTEN UND MORDEN HABEN WIR GELERNT, FRIEDEN MACHEN IMMER NOCH NICHT. Auf dem Wagendach aufmontiert sind vier Gartenzwerge. Ein älterer Mann in Latzhose geht ein paarmal hin und her, mit einem Handwagen, aus der Firma heraus und zum Wagen, und verlädt etwas in den Fond. Beim dritten Mal bleibt er stehen. Wollen S mei Visitenkarten? I bin der Herr Zufall. Die Karte ist handbemalt: ein Baum mit grünen Nadeln, am untersten Ast ein blutrotes Herz mit den Initialen JC. Blut tropft davon hinunter und bildet eine Pfütze. JOHANN COUFAL, KRAFTFAHRER. Wohnhaft Wien XXII, Am Schierlinggrund. Wissen S, wie des is: acht Jahr mit aner fremden Niern? Und fümfmoe Bypass? Die Bilder am Wagen sind zunächst einmal er selber: Die Ader hams ma ausn Fuaß außegschnitten und ins Herz einegflickt, damit s wieder pumpt. Wissen S, wo die Krankheiten herkuman? I kann Ihnen des sagen. I war mein Leben lang Fernfahrer, davon dreiazwanzg Jahr Tankwagenfahrer. Was glauben S, was mit dem Altbenzin passiert, mit der Nachgeburt? Sondermüll sagen s und Recycling – goa nix! Drei Tankwagen voll werden afoch abpumpt irgendwo in ana Gstettn in Oberösterreich. Und Quecksüwa – was glauben S, was i gsehng hab, im Burgenland, was da einegsickert is ins Grundwasser. Und do soest ned nierenkrank werden? Seine persönliche Krankengeschichte ist das Zentrum der Weltvergiftung. Dabei bin i a schwerreicher Mann. Wie ma zu Göd kummt, des waaß i. I find iwaroe Göd. I kennt drei Museen aufmachen mit de Sachen, die i gsammelt hab, zum Beispü aus der Landwirtschaft: vom klansten Heinl bis zum Mähdrescher hob i oles. I hob 130 Bassenas zammtragen, davon san zwanzig bemoed. Was glauben S, was des wert is. I kennt ausstöön noch und noch – aber die geben ma ka Haus. – Warum stöön S as ned in der Firma aus? – Da drin hol i ma nur de Durchlauferhitzer – zum Ausbaanln – des Oedmetoi – was glauben S, was des wert is. I hob amoe – er lacht mit operierter Oberlippe – siebzigtausend Schilling zammgschnorrt, in kürzester Zeit. Für arme Kinder. Da is a blindes Kind in der Steiermark, des braucht a Brüün. Die Krankenkassa zoed nix. Die sagen, wir miassn woatn, bis des Kind auf olle zwaa Augen gaunz blind is. Vurher kena ma nix zoen. Und dann san s ma zuwegstiegen – mit de Kiwara – und dann – ein Politiker, Gesundheitsminister oder dergleichen – und i hob gsogt zu eahm: Und aa bei Ihna wird de große Fleisch-Scher kuma und wird eineschneiden vom Bauch bis zur Gurgel. Daun wean S anders spukken. Seinem Gesicht ist anzusehen: Er weiß, wovon er spricht. San ja nix oes Verbrecher, die uns regieren. Und in de Firmen. I hob einegrochen. I waaß, was da vorgeht. Zu mir hams gsagt: Wannst redst, bist hin. I sag: Wer mir zuwesteigt, is a Leich. Die Wöd macht kaner mehr grad. I hab immer gsund glebt, i hab nie trunken. Und dann, im zwaravierzigsten Lebensjahr auf amoe san ma de Nieren eingschrumpft bis auf Walnußgröße. Was glauben S, wie des is, wann S aufwachen und Ihnen rinnt der Urin ausn Mund? Is ja ka Wunder. Is ja iwaroe nur mehr des Leichengift. Und die Vergaser-Schilder? Wos soe sein damit? Was i ned. Er schupft die Achseln. Is hoed da Vergasermocha do, in der andern Gassn. Der zoed jo fia des. Was glauben S, was des kost jeden Monat. De Schüdln hätt i aa gern, in der Mariahilferstraßen. Da in der Gegend wohnen aber lauter Juden. Regen si die net auf? Scheinbar net. Er lacht. Wissen S was, rufen S mi amoe aun und kuman S mi besuchen. Dann kriagen S weiße Handschuach und dann derfn S amoe a Bassena angreifen. (An der Schwelle zur Wärmetechnik.) Wiederschaun. Herr Coufal: die lebende Chiffre für den Tag und die Gegend. 3. Vergaser Doron Rabinovici meint: Was immer sich wer dabei denkt oder nicht denkt – Werbung dieser Art sei außerhalb Wiens unvorstellbar. Hierorts löst sich üble Geschichte in atmosphärische Skurrilität auf. Was ja nicht heißt, daß sie daraus nicht bei Gelegenheit wieder hervorbrechen kann. Bis zur Vergasung denkt sich niemand etwas. Und Lizenz zum Gasen steht schließlich auch auf Wiener Taxis hin und wieder drauf. |
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