Christian Loidl: Magie im sinnlosen Universum. Prosa aus dem Nachlass,

herausgegeben von Eva Lavric, Wien: Klever Verlag 2017

https://klever-verlag.com/buecher/magie-im-sinnlosen-universum/

 

 

Aus dem Vorwort (stark gekürzt und leicht abgewandelt):

Magie im sinnlosen Universum“ ist der Prosaband eines Lyrikers, mit all den Qualitäten, die Christian Loidls Texte ausmachen: eine schwebende Leichtigkeit und ein funkelnder Humor, getragen von existenzieller Tiefgründigkeit, die zwischendurch paradox aufblitzt. Kurze Geschichten erzählen von Reisen als Eintauchen in das „Andere“, von der Auseinandersetzung mit skurrilen Existenzen, vom Entdecken der Poesie durch den frischen, aufmerksamen Blick auf das Alltägliche. Es geht um Begegnungen mit Gleichgesinnten und mit Idolen – wie die Beat-Poeten der „Jack Kerouack School of Disembodied Poetics“ –, um eine anarchisch-humorvolle Reaktion auf autoritäre politische Entwicklungen, und immer wieder um radikale, aber auch spielerische Techniken des Aufbrechens der vorgefertigten Realität und des Ausbrechens aus geordneten Bahnen. Träume und „Schlafstimmen“ eröffnen den irrationalen Blick auf die Wirklichkeit, den geheimen Zugang zu den unterirdischen Quellen der Kreativität. Orakel und Schamanischen Reisen führen in eine Welt des Unbekannten, Ungeahnten, Nicht-Vorhersehbaren. Magie bedeutete für Christian Loidl, Kunde aus Welten und aus Bewusstseinszuständen zu bringen, die eine neue und befreiende Wahrheit ans Licht bringen. Für ihn gilt, was er über eine Dichterkollegin geschrieben hat: „die [Texte] sind [sein] Atem, der nicht verfliegt, der uns ins Frische versetzt, den wir aufnehmen und weiteratmen können“. Und: „[Er] hat den freien Fall des Existierens in freien Flug verwandelt“.

 

Text-Beispiele:

Und da steht’s, auf den ersten Blick vollkommen: der schönste Gegenstand, den mir Amsterdam gezeigt hat: Ein Fahrrad, das von einer Winde überwuchert ist, am Grachtrand, wo die Mauer metertief hinunter in den Wasserspiegel abfällt. Die Winde wogt ins Vorderrad hinein, fällt über die Lenkstange her, ringelt sich um den Rahmen, wirft sich, Salti schlagend, über den Sattel und in einer Welle abwärts, bis sie als letzter, kalligraphischer Schwung aus dem Gepäckträger noch einmal aufschießt.

(aus: Lost. Ein Amsterdamer Fund)

 

wieso gibt es das junge mädchen, das nicht alt wird, und die alte hexe, die nicht lebt? frag den adler. der adler sitzt, alt, mit hängendem kopf, auf einer wolke. wenn er zähne hätte, hätte er sie jetzt nicht mehr. gibt es einen adler, der nicht alt wird? frag die wolken. bist du nicht selber wasser? frag die luft. wird der adler, wenn er alt wird, luft? kann die luft adler werden? wenn die schildkröte alt wird, wird sie immer mehr schildkröte. wir schlüpfen von der höhle und ins wasser, und schildkröte wird wasserschlange. wir schwimmen in sonne und wasser und tauchen herüben auf, schildkröte und ich. sie trägt das wasser auf dem rücken als schrift und als uhr. dort ist der ausgang im baumstamm.

(aus: die einbeinige hexe – eine schamanische reise)

 

Christian Loidl – Publikationen aus dem Nachlass:

Christian Loidl: Schale aus Schlaf. Gedichte aus dem Nachlass, herausgegeben von Eva Lavric, Graz: Leykam 2008

Christian Loidl: nachtanhaltspunkte. haikus aus dem nachlass, herausgegeben von Leopold Federmair, Graz: Leykam 2008

Christian Loidl: Gesammelte Gedichte, herausgegeben von Eva Lavric (unter Mit­wirkung von Jaan Karl Klasmann), Wien: Klever Verlag 2011

Christian Loidl: Magie im sinnlosen Universum. Prosa aus dem Nachlass, herausgegeben von Eva Lavric, Wien: Klever Verlag 2017

 

Christian Loidl

geboren am 17. September 1957 in Linz, war einer der herausragenden österreichischen Lyriker des späten 20. Jahrhunderts. Der promovierte Germanist lebte seit 1975 in Wien und arbeitete zunächst als Radio- und Feuilleton- Journalist (u.a. für „Ö1“ und für die „Presse“). Entscheidend für seine künstlerische Entwicklung waren längere Aufenthalte an der „Jack Kerouac School for Disembodied Poetics“ in Boulder (USA) um 1990, wo er in intensiven persönlichen Kontakt mit den Künstlern der „beat generation“ (u.a. Allen Ginsberg, William Burroughs, Harry Smith) kam. In der Folge wurde er zum Mitbegründer der „schule für dichtung“ in Wien 1992. Seit Beginn der Neunzigerjahre konzentrierte er sich auf die Arbeit an seiner Lyrik und deren Präsentation durch Performances, die oft von Musikern und Komponisten (u.a. Wolfgang Musil, Bernhard Lang, Otto Lechner, Marwan Abado) unterstützt und mitentwickelt wurden. Als Gast bei zahlreichen internationalen Poesiefestivals in Mazedonien, Litauen, Kolumbien, Argentinien oder den USA knüpfte er diverse und lange anhaltende Dichterfreundschaften. Am 16. Dezember 2001 starb Christian Loidl durch einen Unfall in seiner Wiener Wohnung.

 

Eva Lavric war Christian Loidls Lebenspartnerin. Sie ist die Herausgeberin (fast) aller Werke, die aus dem Nachlass publiziert worden sind (s.o.), organisiert Veranstaltungen und vertreibt die Bücher von Christian Loidl über die „edition farnblüte“. Beruflich ist Eva Lavric Professorin für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Innsbruck und Leiterin des dortigen Frankreich-Schwerpunkts.